Warum Jugendliche nicht mehr arbeiten wollen: Ein psychologischer Blick auf die Generation Z
In meiner Arbeit als Kinder- und Jugendpsychologe begegnete mir in den letzten Jahren immer wieder ein Phänomen, das in den Medien und sozialen Netzwerken viel Aufmerksamkeit erhält: Jugendliche aus der Generation Z scheinen den traditionellen Berufsweg infrage zu stellen. Viele legen mehr Wert auf Freizeit, mentale Gesundheit und Selbstverwirklichung als auf den klassischen Werdegang mit Studium, Beruf und Aufstieg im Hamsterrad.
Die Generation Z – auf der Suche nach dem Glück
Eine Kernfrage, mit der sich viele Jugendliche herumschlagen, lautet nicht mehr „Wie erreiche ich beruflichen Erfolg?“, sondern „Wie kann ich glücklich sein?“. Was für frühere Generationen oft automatisch bedeutete, einen festen Beruf und ein stabiles Einkommen anzustreben, wird heute vielschichtiger hinterfragt. Ich erinnere mich lebhaft an eine Sitzung mit einer 17-jährigen Klientin, die mich mit einem tiefen Seufzer begrüßte. Es fiel ihr sichtlich schwer, ihre Empfindungen in Worte zu fassen. Sie fühlte sich gefangen in einem Strudel von Erwartungen: Schule, Karriere, aber vor allem die Angst, nicht sicher zu wissen, was sie vom Leben will.
Nach einer Weile gestand sie mir, dass sie viel Zeit auf sozialen Plattformen verbringt. Accounts von Influencern und digitalen Nomaden, die unabhängig und offenbar glücklich ihren Lebensweg gehen, zogen sie magisch an. Ihre Träume dagegen schienen für sie unerreichbar. „Ich will einfach glücklich sein“, sagte sie, „aber ich weiß nicht, wie.“ Bei dieser Aussage wurde mir klar, dass viele Jugendliche sich nicht nur von traditionellen Wegen fernhalten, sondern auch das Vertrauen darin verloren haben, dass diese Wege zu Glück führen können.
Gesellschaftliche Erwartungen und Druck
In den Gesprächen mit vielen jungen Menschen dieser Generation kommt immer wieder ein zentraler Punkt zur Sprache: der hohe Druck. Nicht nur der Leistungsdruck in der Schule, sondern auch die Anforderungen der Arbeitswelt wirken für sie oft erdrückend. Hinzu kommt der soziale Druck, der durch Online-Plattformen entsteht – perfekt inszenierte Leben, die als Maßstab für den eigenen „Erfolg“ gelten. Vergleiche werden zum Alltagsbegleiter.
Für viele Jugendliche wird die klassische Lebensweise – Schule, Beruf, Rente – als einschränkend angesehen. Es ist, als stünde das Leben in vordefinierten Bahnen, die wenig Raum für individuell zugeschnittene Ziele lassen. "Schlag dir das aus dem Kopf", hören sie, wenn sie alternative Karrierewege einschlagen wollen. Ihre Träume werden abgewertet, weil sie nicht in das starre Arbeitsparadigma passen. Dabei brauchen viele junge Menschen echte Vorbilder und praxisnahe Anleitung, wie sie ihre Ideen umsetzen können – und genau das fehlt häufig.
Selbstverwirklichung als oberstes Ziel
Einer der markantesten Unterschiede zwischen der Generation Z und früheren Generationen ist die zentrale Rolle der Selbstverwirklichung. Es geht weniger um Sicherheit und ein gut gefülltes Bankkonto, sondern darum, ein Leben zu führen, das sich sinnerfüllt und authentisch anfühlt. Oft fehlt es den Jugendlichen jedoch an klaren Zielen oder einem konkreten Plan, wie sie ihre Wünsche in die Realität umsetzen können. In beratenden Gesprächen merke ich schnell: Viele wissen zwar, was sie nicht wollen, aber sie haben keinen Plan, was sie tun müssen, um das zu erreichen, was sie wollen.
In meiner Arbeit als Psychologe versuche ich, diese Wünsche und Träume ernst zu nehmen. Es geht nicht darum, mit dem Zeigefinger auf die Risiken hinzuweisen, sondern gemeinsam mit den Jugendlichen einen realistischen Weg zu erarbeiten. Sei es der Wunsch, Musiker, Schauspieler oder Social Media Star zu werden – gemeinsam skizzieren wir einen realistischen Plan, der Schritt für Schritt zeigt, wie sie ihren Weg gestalten können.
Die Bedeutung eines „Plan B“
In vielen meiner Sitzungen mit Jugendlichen stelle ich fest, dass der „Plan B“ oft genauso wichtig ist wie das verfolgte Hauptziel. Es geht nicht darum, den Traum aufzugeben, sondern daneben Alternativen zu entwickeln, um flexible Entscheidungen treffen zu können. Ein „Plan B“ bietet Sicherheit und erleichtert die ersten Schritte. Die Erkenntnis, dass auch Rückschläge überwunden werden können, stärkt das Selbstvertrauen und reduziert Angst. Schließlich geht es nicht nur darum, welche beruflichen Entscheidungen getroffen werden, sondern auch darum, wie resilient Jugendliche mit Herausforderungen umgehen können.
Schule als unverzichtbarer Teil des Weges
Während viele Jugendliche die Schule als Hindernis betrachten, erarbeite ich mit ihnen, wie der Bildungsweg als Baustein auf dem Weg zur Selbstverwirklichung genutzt werden kann. Der Fokus liegt nicht darauf, sie in das System zu drängen, sondern auf das Aufzeigen von Möglichkeiten. Mithilfe von Role Models – Menschen, die ihren Traum verwirklicht haben, angefangen von Musikern über Schauspieler bis hin zu Unternehmern – suche ich nach positiven Beispielen, die den Glauben daran stärken, dass ihre Träume erreichbar sind.
Wenn Jugendliche erkennen, dass ihre Träume nicht unmöglich sind und die Schule einen wichtigen Beitrag auf diesem Weg leisten kann, kehrt oft ein Lächeln zurück. Es ist erstaunlich zu sehen, wie sich depressive Symptome und Unsicherheiten allmählich auflösen, wenn die Jugendlichen aktiv an der Gestaltung ihres Lebens mitarbeiten.
Unterstützung und Begleitung auf dem Weg
Kein Weg ist vorgezeichnet, und sicher gibt es Rückschläge. Dennoch bleibt die Begleitung der Jugendlichen auf dem Weg hin zu ihrer Selbstverwirklichung eines der wertvollsten Elemente meiner Arbeit. Wenn ich merke, wie sie sich öffnen und mit Mut und Zuversicht ihre Träume verfolgen, dann weiß ich, dass auch die kleinen Schritte, die wir gemeinsam gegangen sind, eine bedeutende Veränderung in ihrem Leben bewirken können.
Abschließend möchte ich betonen, dass es für Eltern, Schulen und die Gesellschaft wichtig ist, die individuellen Bedürfnisse und Träume von Jugendlichen ernst zu nehmen. Anstatt sie in vorgegebene Bahnen zu zwingen, sollten wir ihnen helfen, ihre Fähigkeiten zu entfalten. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung ist kein Zeichen von Faulheit – er ist Ausdruck einer tiefen Sehnsucht nach einem authentischen Leben.