Warum das heimliche Lesen des Tagebuchs Deines Teenagers mehr schadet als hilft

Gerade wenn Jugendliche sich immer mehr zurückziehen, möchten wir als Eltern oft wissen, was in den Köpfen unserer Söhne oder Töchter vor sich geht. Wie praktisch wäre es, Zugriff auf ihr Tagebuch zu haben, während sie in der Schule oder bei Freunden sind – damit man in ihre Gedankenwelt eintauchen kann. Klingt verlockend, oder?

Falsch gedacht. Wenn Du an dieser Stelle ein mulmiges Gefühl im Magen verspürst, ist das ein gutes Zeichen. Deine Intuition zeigt dir auf, dass das Lesen des Tagebuchs aus mehreren Gründen gefährlich ist:

  • Ein einseitiges Bild: Oftmals vermittelt das Tagebuch kein ausgewogenes Bild unserer Jugendlichen. Viele schreiben vor allem die Dinge auf, die sie belasten oder die sie verletzen. Es kann sich um Dinge handeln, die schwer zu ertragen sind, bis hin zu Gewaltfantasien oder sogar Gedanken über Selbstverletzung und Suizid. Dadurch erhält der Leser häufig ein verzerrtes Bild, das den Eindruck erweckt, alles wäre düster und schrecklich. Da das Tagebuch oft nur „dunkle“ Gedanken enthält, kann es leicht zu Missverständnissen kommen. Und da Du im Verborgenen liest, hast Du keine Möglichkeit, die Autorin oder den Autor der kreativen Zeilen zu befragen. Dies kann zu eigenen Unsicherheiten führen, die letztlich auch die Beziehung belasten.

  • Vertrauensbruch: Sofern es herauskommt, dass Du das Tagebuch gelesen hast, wird die Beziehung auf mehreren Ebenen beschädigt. Neben der offensichtlichen Verletzung des Vertrauens wird Deinem Kind signalisiert, dass seine Privatsphäre nicht respektiert wird und seine Selbstbestimmung untergraben. Zusätzlich führst Du damit den Wert ein, dass es in Ordnung ist, einer nahestehenden Person Dinge zu verheimlichen – was die Kommunikation zwischen Eltern und Teenager weiter erschwert. Dadurch wirst Du zunehmend aus der Gefühlswelt Deines Kindes ausgeschlossen, was eine angemessene Unterstützung in diesen wichtigen Jahren zusätzlich erschwert.

  • Das Gefühl der Verwirrung: Selbst wenn die Kinder nichts davon mitbekommen, spüren sie instinktiv, dass ihre Eltern über Dinge Bescheid wissen, über die sie keine Informationen bekommen sollten. Für viele Jugendliche fühlt sich das so an, als würden sie verrückt. Und spätestens, wenn dann noch Sätze fallen wie: „Du bildest dir das nur ein, ich würde sowas nie tun“, wird das Gaslighting perfekt – was mentale Probleme auslösen oder verstärken kann.

Was man tun kann, wenn man das Tagebuch gelesen hat

Wenn Du das Tagebuch Deines Sohnes oder Deiner Tochter bereits gelesen hast und nun einsiehst, dass dies keine gute Idee war, gibt es einige Dinge, die Du unternehmen kannst:

  1. Offene und ehrliche Entschuldigung: Ja, ich empfehle Dir, es offen anzusprechen und Dich aufrichtig dafür zu entschuldigen, in die Privatsphäre Deines Jugendlichen eingedrungen zu sein. Mach deutlich, welchen Schaden Du angerichtet hast. Dies wirkt sich positiv aus, weil Du zeigst, dass Du erkennst, was Du getan hast.

  2. Erläuterung der Gründe: Wenn es einen Grund gab, warum Du das getan hast – zum Beispiel Sorgen um das Wohlbefinden Deines Teenagers – dann kannst Du dies erklären. Dabei solltest Du jedoch auch klarstellen, dass dies den Vertrauensbruch keineswegs rechtfertigt.

  3. Vertrauen wieder aufbauen: Um das Vertrauen zurückzugewinnen, braucht es Zeit. Ein wichtiger Schritt ist die klare Kommunikation darüber, wie Du in Zukunft damit umgehen möchtest. Du könntest beispielsweise sagen: „Wenn ich Zweifel an deinem Wohlbefinden habe, werde ich dich danach fragen. Aber selbst wenn ich keine Antwort bekomme, werde ich nicht dein Tagebuch lesen.“ Dieses Versprechen muss durch Dein weiteres Handeln untermauert werden, was Zeit in Anspruch nehmen wird.

  4. Beziehungsfördernde Maßnahmen: Jetzt ist es besonders wichtig, die Beziehung aktiv zu fördern. Dazu zählen:

    • Offene Kommunikation durch Zuhören und das Teilen eigener Gedanken.
    • Gemeinsame Aktivitäten wie Kochen, Sport, Hobbys oder Kartenspiele.
  5. Externe Unterstützung: Manchmal kann es hilfreich sein, einen Psychologen oder Therapeuten in Anspruch zu nehmen, der auf Familienthemen spezialisiert ist.

Fazit

Das Tagebuch Deines Nachwuchses zu lesen, ist mehr schädlich als hilfreich. Falls es passiert ist, kannst Du als Elternteil die Beziehung schrittweise wieder aufbauen, indem Du die Verantwortung für Dein Handeln übernimmst. Vertrauen ist der Grundpfeiler einer starken Beziehung – arbeite daran, es wiederherzustellen.

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