Das jugendliche Kind sitzt nur noch in seinem Zimmer, spielt am Handy, will nicht mehr rausgehen, will mit den Eltern nichts mehr machen, trifft seine Freunde nicht mehr – man hat das Gefühl, es macht eigentlich gar nichts mehr. Ist immer schlecht gelaunt, motzt, wenn es etwas gefragt wird. Die Beziehung aufrechtzuerhalten wird zunehmend schwieriger. Da kann schon mal die Frage auftauchen: Ist das noch die normale Pubertät oder hat mein Kind vielleicht eine Depression?
Dieser feine Grat zwischen typischem Pubertätsverhalten und den ersten Anzeichen einer Depression beschäftigt viele Eltern. Wenn dein Kind sich zurückzieht und zunehmend gereizt reagiert, während die Verbindung zwischen euch komplizierter wird, ist es verständlich, dass du dir Sorgen machst.
Anzeichen, die uns aufmerksam machen können
Jeder Jugendliche ist einzigartig, und so zeigen sich auch Depressionen auf unterschiedliche Weise. Dennoch gibt es einige Signale, die uns hellhörig werden lassen dürfen:
- Anhaltende Traurigkeit oder Reizbarkeit
- Rückzug von Familie und Freunden
- Verlust des Interesses an früher geliebten Aktivitäten
- Veränderungen in Schlaf- oder Essgewohnheiten
- Energiemangel und ständige Müdigkeit
- Konzentrationsschwierigkeiten oder schlechtere Schulleistungen
- Äußerungen von Hoffnungslosigkeit oder Wertlosigkeit
Allerdings ist nicht jedes dieser Anzeichen direkt ein Hinweis auf eine Depression. Jeder Mensch durchläuft solche Phasen – entscheidend ist dabei auch die Dauer und Intensität. Wenn dein Kind mehr als die Hälfte der Zeit traurig ist, über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen, könnte es sich um eine depressive Episode handeln. Selbst dann gibt es noch Abgrenzungen zu beachten, etwa zu Trauerphasen oder anderen Lebensereignissen, die diese Veränderungen erklären könnten.
Der schleichende Verlust von Freude – ein typisches Beispiel
Emma, 14 Jahre alt, liebte den Sport – das Tanzen, Eislaufen, Fußball und Gymnastik als Teamsport. Als sie bei mir in der psychologischen Beratung ankam, hatte sie all das seit 3-4 Monaten nicht mehr gemacht. Sie erzählte mir, dass es schleichend gewesen sei und sie es eigentlich vermisse, aber einfach keine Energie mehr dafür fühle. Manchmal ging sie doch zu ihren Aktivitäten, saß dann aber oft am Rand und schaute zu, weil sie sich nicht gut fühlte. Die Menschen um sie herum waren fröhlich, aber sie selbst nicht – sie beschrieb es, als wäre sie ein Zuschauer ihres eigenen Lebens.
Das ist eine typische Beschreibung, die ich in meiner Arbeit immer wieder höre, so oder so ähnlich. Vielleicht erkennst du auch bei deinem Kind solche oder ähnliche Muster, die dich beunruhigen.
Wie du ein einfühlsames Gespräch beginnen kannst
Es ist nicht einfach, das Gespräch mit einem Kind zu beginnen, das möglicherweise depressiv ist. Weder ungefragte Ratschläge noch direkte Fragen oder Behauptungen wie „Ich glaube, du bist depressiv“ sind hilfreich. Wir kommunizieren mit Menschen, die depressive Tendenzen zeigen, oft anders, weil der Hausverstand hier an seine Grenzen stößt.
Aussagen wie „Du musst doch nur… dann geht’s dir wieder gut“ oder „Das geht vorüber“ mögen objektiv gesehen richtig sein, ziehen jemanden mit depressiven Gefühlen aber oft nur weiter runter. Da wir an dieser Stelle noch nicht wissen, ob es sich um eine Depression handelt, schlage ich vor, lieber behutsam vorzugehen:
- „Ich habe bemerkt, dass du in letzter Zeit anders wirkst. Magst du mir vielleicht erzählen, wie es dir geht?“
- „Ich bin für dich da, wenn du reden möchtest – jetzt oder später, ganz wie es für dich passt.“
Der Schlüssel liegt darin, wirklich zuzuhören, ohne mit Ratschlägen oder Beschwichtigungen zu reagieren. Einfühlsame Fragen stellen, das Gehörte widerspiegeln und versuchen, dich wirklich in die Situation deines Kindes hineinzuversetzen – das kann helfen, eine Brücke zu bauen. Manchmal ist schon das Gefühl, dass jemand ohne Wertung zuhört, eine große Erleichterung für Jugendliche.
Mit schweren Gefühlen umgehen können
Bereite dich darauf vor, dass in solchen Gesprächen sehr schwere Gefühle zur Sprache kommen können, die es auszuhalten gilt. Dazu können auch Suizidgedanken gehören oder das Gefühl, nicht mehr leben zu wollen. So beunruhigend das klingt – Studien zufolge haben etwa 17 bis 29 Prozent der Jugendlichen im Laufe ihrer Pubertät irgendwann solche Gedanken. Diese Information soll dich nicht erschrecken, sondern dir helfen, solche Äußerungen mit mehr Ruhe aufzunehmen.
Wenn dein Kind dir von solchen Gedanken erzählt, ist das meist ein Zeichen von Vertrauen. Es bedeutet nicht automatisch, dass dein Kind tatsächlich Suizidabsichten hat, aber es zeigt, dass es mit schweren Gefühlen ringt, die es nicht allein bewältigen kann. In solchen Momenten ist es wichtig, ruhig zu bleiben, zuzuhören und professionelle Hilfe in Betracht zu ziehen. Jugendliche brauchen in dieser Situation vor allem das Gefühl, dass ihre Gefühle gehört werden, ohne sofort bewertet oder „wegerklärt“ zu werden.
Selbstfürsorge für dich als Elternteil
Wenn Jugendliche es wagen, sich zu öffnen, merke ich häufig, dass es Eltern zu viel wird. Vielleicht weil sie selbst viel zu bewältigen haben und diese zusätzliche emotionale Belastung ihr eigenes Fass zum Überlaufen bringen kann. Dann entsteht oft eine unbewusste Abwehrhaltung – die Jugendlichen bemerken das und ziehen sich wieder zurück.
Um das zu vermeiden, ist Selbstfürsorge für dich als Elternteil enorm wichtig, damit du selbst stabil bleiben und unterstützen kannst. Vor allem gilt es, keine Angst vor den intensiven Gefühlen deines heranwachsenden Kindes zu haben. Für mich ist es einer der schönsten Aspekte meiner Arbeit – und ich kenne es auch von Eltern, die ihr Elternsein lieben: Dabei sein zu dürfen, eine Stütze sein zu können, wenn Jugendliche durch ihr Gefühlschaos navigieren.
Alle Gefühle sind wertvoll – die Wut, die Angst, die Traurigkeit und die Freude – und was es sonst noch alles gibt. Manchmal braucht es nur jemanden, der das aushält und mitfühlt, ohne gleich „reparieren“ zu wollen.
Nach dem Gespräch – deine eigene Verarbeitung
Nach einem intensiven Gespräch – vielleicht über Suizidgedanken, aber auch über Probleme in der Schule, im Freundeskreis oder in der Familie – bist du selbst oft müde, niedergeschlagen und traurig. Auch das ist völlig normal und in Ordnung. Diese Gefühle solltest du nicht ignorieren. Besprich sie am besten mit deinem Partner oder deiner Partnerin, mit Freunden oder auch mit professionellen Helfern.
Das kreative Verarbeiten durch Schreiben oder andere Ausdrucksformen kann dir ebenfalls helfen, deine eigenen Emotionen zu sortieren. Denn nur wenn du selbst emotional stabil bist, kannst du wirklich für dein Kind da sein – ohne dass eure Beziehung unter dieser Herausforderung leidet.
Denke daran: Als Elternteil musst du nicht perfekt sein oder alle Antworten haben. Es reicht oft schon, einfach präsent zu sein, zuzuhören und gemeinsam mit deinem Kind nach Unterstützung zu suchen, wenn ihr sie braucht.
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